Der Wal
Schauspiel
Erst am emotional überwältigenden Schluss erfährt der Zuschauer, warum ein Aufsatz über Herman Melvilles Literaturklassiker „Moby Dick“ sich als wichtiger roter Faden durch die herzzerreißende Geschichte des Online-Englischlehrers für argumentatives Schreiben zieht. Nach einer persönlichen Tragödie ist der ehemalige Universitätsprofessor Charlie auf einer Couch in Nord Idaho – wie Autor Hunter schreibt – »gestrandet«. Kontakt hat er nur zu seiner Krankenschwester, zu Elder Thomas, einem Mormonen, und seit kurzer Zeit wieder zu seiner Ex-Frau und seiner Teenager-Tochter Ellie. Dass das hoch gelobte, schmerzlich berührende, aufwühlende wie humorvolle Stück noch lange nach der Vorstellung für viel Gesprächsstoff sorgt, liegt nicht an dem monströsen Übergewicht Charlies und seinem himmelhohen Blutdruck, sondern an dem ungewöhnlichen Blick des Dramatikers auf seine Figuren und an seinem Talent, auf mehreren emotionalen Ebenen komplexe Charaktere zu erschaffen, die in Erinnerung bleiben. Wie Puzzleteile verbindet er in Szenen von großer Intensität Charlies gegenwärtigen Zustand mit den zerbrochenen Beziehungen zu Personen aus seiner Vergangenheit, die sein Leben schicksalhaft mitbestimmt haben.
Hunters für zärtliche und wütende, ernsthafte und humorvolle Nebentöne hellhörigen Dialoge kommen besonders in den Szenen mit seiner Tochter zur Geltung. Charlie möchte sie davor bewahren, durch Verlusterfahrung, Verachtung und Frustration in eine existenzielle Abwärtsspirale zu geraten und dadurch in ihrer Gefühlswelt so eingesperrt zu werden, wie er in seinem Körper.